6. März 2023

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Orlowski,
sehr geehrte Frau Beigeordnete und Kämmerin Engemann,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Rat,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer lebenswerten Stadt,

wir beraten heute den Haushalt der Stadt Selm für das Jahr 2023. Das Budget-Recht gilt als der Höhepunkt der parlamentarischen Befugnisse des Rates. In der Haushaltsberatung werden die Weichen für den Lauf des gesamten Jahres gestellt. Dazu gehört nicht nur ein Rückblick auf die vergangenen Monate, sondern auch eine Prognose für die vor uns liegende Zeit.

Das Jahr 2022 bot einen Höhepunkt der Stadtgeschichte Selms. Vor 900 Jahren übertrugen die Grafen Gottfried und von Cappenberg ihre Burg an den neu gegründeten Orden der Prämonstratenser.  Zeitgleich wurde der 900 Geburtstag von Kaiser Barbarossa gewürdigt. Rechtzeitig zum Jubiläum war die Renovierung des Schlosses vollendet. Das Museum ist auf einen neuen Stand gebracht worden. Durch den Einbau eines Aufzugs ist es nun auch für behinderte und ältere Menschen leicht zugänglich, die nun ebenfalls die Ausstellungen genießen können. Ebenso wurde die Stiftskirche grundlegend renoviert. Bei der Säuberung der Decken und Wände tauchten Malereien wieder auf, die durch Patina zugedeckt und der Vergessenheit anheimgefallen waren, jetzt aber nach Aufarbeitung wieder bestaunt werden können. Die Kirchengemeinde konnte Ihr Gotteshaus endlich wieder bestimmungsgemäß nutzen. Das Barbarossa Jahr wurde auch mit einem Umzug und Festivitäten auf dem Schlossgelände gebührend gefeiert. Darüber hinaus wurde die Zeit des Gottfried von Cappenberg wissenschaftlich erforscht. An den Erkenntnissen konnte die Bevölkerung durch Vorträge, Tagungen und einer Ausstellung im Museum teilnehmen.

Der Stadtteil Selm profitierte von dem Barbarossa Jahr. Prof Dr. Schaltenbrand spendete die sog. Staufer Stele nebst einem Bildschirm mit Erläuterungen auf dem Campusplatz, die von dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Lammert in einer würdigen öffentlichen Feierstunde enthüllt wurde. Außerdem kommen die Selmer in den Genuss eines neuen Museums, für dessen Besuch nicht einmal die Wohnung verlassen werden Muss. Das sog. Virteum verlangt nur einen Computer mit Internetanschluss. Die Ausstellungsstücke können sogar von zu Hause aus näher herangezoomt oder gedreht werden, um neue Perspektiven zu gewinnen.

Wir bedanken uns sehr herzlich bei allen Beteiligten, die mit viel Zeit, Arbeit und sogar eigenem Kapital das Barbarossa Jahr ermöglicht und durchgeführt haben. Derartiger ehrenamtlicher Einsatz ist alles anders als selbstverständlich und vorbildlich.

Selbstverständlich gilt unser Dank auch allen anderen Ehrenamtlichen bei der Feuerwehr und dem Katastrophenschutz, in caritativen Einrichtungen, Vereinen usw. Es mögen sich bitte auch diejenigen angesprochen fühlen, die nicht gesondert erwähnt worden sind. Die vollständige Aufzählung würde den Zeitrahmen sprengen. Festzuhalten ist, dass ohne ehrenamtlichen Einsatz ein funktionsfähiges Gemeinwesen weder denkbar noch realisierbar ist.

Unser Dank gilt auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt, der Stadtwerke und sonstigen kommunalen Einrichtungen. Auch wenn Sie – aus verständlichen Gründen – nicht unentgeltlich tätig sind, ist Ihr Einsatz und Fleiß für die Stadt und die Bürger unverzichtbar.

Wer arbeitet, macht – geradezu zwangsläufig – auch Fehler. Einige wenige seien beispielhaft genannt, die im letzten Jahr publik geworden sind:

Nach der Renovierung der Kreisstraße verklagte ein Bauunternehmer die Stadt Selm auf Zahlung ihm vermeintlich noch zustehender Gelder. Die Stadt bestritt die Forderungen und machte u.a. ihrerseits Ansprüche wegen Baumängeln in nicht unerheblicher Höhe geltend. Die zuständige Kammer des Landgerichts unterbreitete einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unter Darlegung, welche wechselseitigen Ansprüche als wohl begründet oder auch nicht bezeichnet wurden. Die Mängelansprüche der Stadt wies das Gericht als unschlüssig zurück, d.h. sie waren weder logisch noch nachvollziehbar dargestellt. Es ist ein Armutszeugnis, dass Fachleute vom Bauamt nicht in der Lage waren, Baumängel überzeugend zu beschreiben. Hätten sie dies getan, hätte sich der zu zahlende Geldbetrag zu Lasten der Stadt reduziert.

Im Rahmen der Neugestaltung legte die Stadt entlang der Kreisstraße den Parkplatz „Landsbergstrasse“ an. Hierbei unterließ sie es, die Parkfläche im Bebauungsplan als „öffentlich“ zu widmen. Für öffentliche Parkplätze gelten andere Regeln als für solche, die nur der Öffentlichkeit zugänglich sind (z.B. Parkplätze der Supermärkte). Auf den letztgenannten gilt beispielsweise nicht die Straßenverkehrsordnung, wohl aber auf öffentlich gewidmeten. Im Fall Parkplatz Landsbergstraße wurde die unterlassene Widmung als „öffentlich“ verhängnisvoll. Bei „öffentlichen Parkplätzen“ müssen dem Lärmschutz dienende Vorschriften nicht bzw. nur großzügiger eingehalten werden. Ein Anlieger hatte bereits in der Planungsphase gegen die Errichtung der Parkfläche protestiert und später gegen die Baugenehmigung geklagt. Das Verwaltungsgericht gab dem Anlieger wegen Verstoßes gegen die Lärmschutzvorschriften Recht. Die Stadt mußte die Baugenehmigung zurücknehmen. Seit März 2022- also rund 11 Monaten – entbehrt der Parkplatz Landsbergstr. also jeglicher Rechtsgrundlage. Was hat die Stadt seither gemacht? Eigentlich nichts! Statt die öffentliche Widmung nachzuholen, will sie den Anlieger dadurch besänftigen, dass eine Schranke errichtet wird und die Parkmöglichkeit dadurch in den Nachtstunden unterbindet. Auch die Ladesäulen für E-Autos sind nicht nutzbar. Wer sein KFZ abends nicht rechtzeitig abholt, hat halt Pech gehabt! Die Kosten für die eigentlich völlig überflüssige Schranken -Anlage belaufen sich auf mehrere 10.000 €.

Im Jahre 2018 hat die Stadt Selm den sog. Alten Marktplatz in Bork an die Caritas zwecks Errichtung eines Altenheims veräußert. Sie hat sich vertraglich verpflichtet, die vorhandene Bebauung abzureißen und Grund und Boden in baureifem Zustand zu übergeben. Im Herbst 2022 teilte die Verwaltung mit, bei dem Abriss sei es zu Fehlern gekommen. Der Boden müsse aufbereitet werden. Das seinerzeit ausführende Unternehmen sei nicht mehr am Markt. Die Stadt müsse umgehend rund 140,000 € zur Herstellung der Baureife bereitstellen. Diesem Antrag folgte der Rat nicht. Die Vorlage sei unzureichend und biete keine tragfähige Entscheidungsgrundlage.

Seither haben mehrere Sitzungen auf verschiedenen Ebenen stattgefunden.

Es stellte sich u. a. heraus, dass neben dem Bauamt auch ein Architekt für die Stadt tätig war und die Mängel an Grund und Boden bereits seit Januar 2019 bekannt waren. Auch ist das seinerzeit ausführende Unternehmen nach wie vor wirtschaftlich aktiv. Wir halten es für ein Armutszeugnis, dass die Stadt bis zum heutigen Tag noch keine umfassende alle Fragen beantwortende Vorlage erstellen konnte. Hoffen wir, dass der von der Stadt beauftragte Rechtsanwalt den Sachverhalt aufklärt, uns eine Entscheidungsgrundlage bietet und -falls erforderlich- Rückgriffsmöglichkeiten aufzeigt, um finanzielle Schäden von der Stadt abzuwenden.

Vor einigen Jahren hat die Stadt bekanntlich 8 Häuser an der Kreisstr. ohne Wertgutachten zum Preis von 4,2 Mio. € gekauft. Der Kaufpreis musste finanziert werden. Unser neuer Bürgermeister hat die Liegenschaften vor einiger Zeit als Schrott-Immobilien qualifiziert. Die Häuser sind seit 2021 geräumt, sodass sie nicht einmal durch Mieteinnahmen mehr einen kleinen Beitrag zu den beträchtlichen Finanzierungskosten leisten. Es wurde sodann ein Erbbaurechtsvertrag über die Grundstücke geschlossen. Der erste Erbbauzins wird erst mit der Erteilung der Baugenehmigung fällig. Es wird Jahrzehnte brauchen, bis der Kaufpreis und die horrenden angefallenen Zinsen gedeckt worden sind. Das Geld fehlt aber jetzt, um aktuell erforderliche Investitionen in die Tat umsetzen zu können.

Wie hinreichend bekannt, ist die finanzielle Lage Selms seit vielen Jahren mehr als angespannt. Die FDP findet es sehr bedauerlich, dass die Verwaltung unter Führung des Bürgermeisters teilweise die gebotene wirtschaftliche Arbeitsweise nicht genügend konsequent beachtet.

Den Haushalt für das Jahr 2022 hat die FDP bekanntlich abgelehnt, weil unserer Meinung nach Haushaltsansätze zu positiv angenommen wurden. Die Erhöhung der Einkünfte wurde zu hoch, die der Ausgaben zu niedrig eingeschätzt. Allerdings konnte der Haushalt 22 mit einem kleinen Gewinn abgeschlossen werden. Die Bilanz der Stadt weist erstmals seit vielen Jahren wieder ein Plus von ca. 300.000 € auf, d.h. das Vermögen übersteigt endlich einmal wieder den Schuldensaldo! Sehr erfreulich! Allerdings sollten wir uns nicht zu früh freuen. Es ist nämlich ein außerordentlicher Gewinn in Höhe von 1 Mio. € verbucht. Dieser Gewinn besteht nicht aus echtem Geld, sondern ist ein Buchungstrick. Die Städte und Gemeinden sind vom Land NRW angewiesen, Corona bedingte Mehraufwendungen nicht als Verlust, sondern mit einem außerordentlichen Gewinn zu neutralisieren- Stichwort: Isolierung der Corona bedingten Kosten. Ferner sind die Schlüsselzuweisungen um 1,5 Mio. € höher und die Versorgungsaufwendungen um 300.000 €niedriger ausgefallen.

Im Haushaltsentwurf 2023 werden die Erträge z.B. aus der Einkommenssteuer höher angesetzt als im Vorjahr. In Anbetracht der derzeitigen volatilen Wirtschaftslage ist eine Steigerung keineswegs sicher.

Die Energiekosten steigen drastisch.

Gleiches gilt für die Zinsen, die in Anbetracht der städtischen Verschuldung von mehr als 100 Mio. € eine sehr namhafte Kategorie darstellen An Investitionen sind rund 14 Mio. € eingeplant. Bei galoppierenden Baupreisen ist sehr zweifelhaft, ob die geplanten Kosten realistisch einzuhalten sind.

Äußerst bedenklich ist nach unserer Meinung die Möglichkeit des Landes NRW, die Corona und Ukraine Krieg bedingten Mehraufwendungen in diesem und den folgenden Jahren im Haushalten zu isolieren. Allein in diesem Jahr werden mehr als 7 Mio. € aufgewandt, durch lediglich fiktiven außerordentlichen Gewinn aber gegengebucht. Erst in 4 Jahren müssen diese Verluste verteilt auf Raten bis zu 50 Jahren anteilig in den Haushalt tatsächlich eingestellt werden. Unsere Verschuldung wird, wie die Kämmerin zutreffend mitgeteilt hat, sich in 4 Jahren um ca. 30 % auf rund 150 Mio. € steigern. Die buchhalterische Trickserei sorgt dafür, daß die jetzt gemachten Schulden auf die nachfolgenden Generationen zu überwälzt werden Die FDP hält diesen Verstoß gegen die Generationen- Gerechtigkeit für nicht akzeptabel.

Die Kämmerin hat dankenswerterweise in ihrer Rede vom 16.12.22 zur Einbringung des Haushalts auf die vielen Unsicherheiten und Bedenken von sich aus hingewiesen, denen wir uns im vollen Umfang anschließen.

Unter Berücksichtigung der vielen Unklarheiten sehen wir uns auch dieses Jahr leider nicht in der Lage, dem vorgelegten Haushalt zuzustimmen.

Gleichwohl danken wir unserer Kämmerin und ihren Mitarbeitern für die sicherlich schwere

und verantwortungsvolle Erstellung des Entwurfs. Die Arbeit an diesem Zahlenwerk war sicherlich nicht Vergnügungssteuerpflichtig.

Zur Klarstellung weisen wir darauf hin: Die Ablehnung des Haushalts bedeutet keineswegs die Fundamental-Opposition. In jeder einzelnen zukünftigen Entscheidung werden wir uns auch zukünftig sachlich- konstruktiv einbringen.

Abschließend noch ein sehr wichtiges und uns bedrückendes Thema: Im letzten Jahr tauchte der Verdacht auf, drei Ratsmitglieder in Selm und gleichzeitig oder vorher Mitglieder des Kreistags in Unna hätten falsche Abrechnungen des Verdienstausfalls gefertigt und sich in betrügerische Weise ungerechtfertigt bereichert. Die Angelegenheit hat heftige Reaktionen bei uns und in der Selmer Öffentlichkeit hervorgerufen. Wir wurden von den Bürgern immer wieder angesprochen, warum wir nichts unternehmen. Der Rat hat an die Beschuldigten appelliert, ihr Gewissen zu prüfen und ggf. Konsequenzen zu ziehen. Das Vertrauen der Bürger in die Redlichkeit aller Ratsmitglieder und unser demokratisches System insgesamt ist stark erschüttert und beeinträchtigt.


In unserem Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung. Jeder hat so lange als unschuldig zu gelten, bis durch rechtskräftige Entscheidung das Gegenteil bewiesen ist. Wir hoffen nun auf zügige weitere Ermittlungen und zeitnahe Entscheidungen.                                                                                                                                    

Am wünschenswertesten wären Freisprüche. Dann wären wir alle von dem Verdacht befreit, uns auf Kosten der Bürger ungerechtfertigt zu bereichern.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Selm wird als die ständige Vertretung des Ruhrgebiets im Münsterland bezeichnet.

Ich möchte deshalb schließen mit

Glück Auf und Guat Goan

Klaus Schmidtmann